Wie jeden Donnerstag werfen wir auch heute wieder einen Blick in die Vergangenheit. Genauer gesagt auf den 28. Dezember 2016. An dem Tag habe ich den folgenden Text auf meinem damaligen Blog »Geek-Planet« veröffentlicht, den es heute allerdings nicht mehr gibt. Trotzdem sollen alle meine Texte weiterhin auffindbar sein. Also redigiere ich jede Woche einen alten Text und versehe ihn mit einer kleinen Einleitung.
Der Comic Alex + Ada hat mich eine ganze Weile lang verfolgt. Erst habe ich die einzelnen Ausgaben gelesen, wenn ich mich recht erinnere und schließlich die Collected Editions. Ich habe den folgenden Text dazu geschrieben, der sich sehr auf die Welt und die moralischen und philosophischen Aspekte des Comics konzentriert. Im Laufe des Studiums habe ich zudem eine Arbeit mit zwei Kommilitonen darüber verfasst. Vielleicht finde ich diese noch irgendwo auf einem externen Laufwerk.
Manche Geschichten bleiben einem sehr lange im Gedächtnis. Sei es wegen der einzigartigen Welt, die sie erschaffen oder aufgrund der mitreißenden Charaktere. Alex + Ada meistert beide Aspekte mit Bravour und schafft so viel mehr. Ich denke, der Comic macht auch heute noch eine gute Figur und ist aktueller denn je. Er wirft Fragen auf, mit denen wir uns zwangsweise irgendwann auseinandersetzen müssen. Ob wir es wollen oder nicht.
Bei »Alex + Ada« handelt es sich um einen 15-teiligen Comic aus dem Hause Image. Alex ist ein Einzelgänger, der täglich seiner Arbeitsroutine nachgeht und gerade eine Beziehung hinter sich hat. Seine andauernde melancholische Stimmung besorgt nicht nur Kollegen, sondern auch seine Großmutter. Deshalb hat sie sich dazu entschieden, ihm einen Androiden zu schenken, der ihm Gesellschaft leisten soll. Sie selbst hat ebenfalls einen und ist sehr zufrieden damit. So steht, gegen den Willen von Alex, eines Tages Ada vor seiner Tür. Schnell stellt sich aber ein Bedürfnis nach mehr ein, ein Bedürfnis, Ada besser kennenzulernen. Er entscheidet sich für einen in dieser Welt illegalen Schritt: Ada die Fähigkeit zu geben, Gefühle zu empfinden.
- Story, Script: Sarah Vaughn
- Story, Illustrations, Letters, Design: Jonathan Luna
“Now is the time to stay together and not let fear drive us apart.”
Zuvor die steife Androidin, die jeden Befehl ausführen musste, der ihr gegeben wird, kann Ada nun für sich selbst entscheiden. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn dazu muss Ada erst einmal herausfinden, was sie möchte. Welche Themen interessieren sie? Was will sie mit ihrem neu gewonnenen Leben oder besser gesagt mit ihrer neuen Freiheit machen? Für uns Menschen mögen dies zwar auch schwierige Fragen sein, doch wir wachsen langsam in die Gesellschaft hinein und können uns mit ihr und diesen Fragen auseinandersetzen.
Betrachten wir einmal diese Androiden. Sie kommen mehr oder weniger vom Fließband. Jeder und jede von ihnen wird mit individuellen Eigenschaften ausgestattet, genau so, wie es ihre zukünftigen Meister haben wollen. Wenn man diese Kreationen dann mit der Fähigkeit ausstattet, selbst zu entscheiden, muss man sich in diesem Zusammenhang immer bewusst machen, dass sie eigentlich Kinder sind. Einerseits körperlich komplett entwickelt, andererseits mit einem neugierigen Geist, der sich ständig weiterentwickelt und heranreift. Eine äußerst interessante Frage, die damit aufgeworfen wird, ist, ob sie schon voll Zurechnungsfähig sein kann? Zwar sind alle Androiden mit viel Wissen ausgestattet, doch haben sie keinerlei Lebenserfahrung. Ab wann kann man solche Androiden auf die Welt loslassen, ohne von jemand kompetenten geleitet zu werden, wie in einer Art Schule?
Was mich in diesem Zusammenhang ebenfalls beschäftigt, ist, dass manche erst nach Jahren der Gefangenschaft ihre Selbstständigkeit geschenkt bekommen. Natürlich werden viele ordentlich behandelt, was auch immer dies bedeuten mag, doch wie sieht es mit denen aus, die misshandelt und missbraucht werden. Androiden nehmen ihr gesamtes vergangenes Wissen und ihre Erfahrungen mit. Wenn einem nun plötzlich tatsächlich bewusst wird, was der Besitzer angestellt hat, muss dies ein immenser Schock sein. Wäre es an dieser Stelle nicht besser, wenn Androiden ihre Freiheit mit einem weißen Blatt anfangen könnten, ohne Vorbelastung?
Ada muss sich allerdings mit einer weiteren Komponente oder Frage auseinandersetzen, die ihre Zukunft prägt: Was bedeutet es überhaupt, ein Mensch zu sein? Ist diese Frage für sie als Androidin überhaupt interessant? Muss sie nicht eher entdecken, was es bedeutet, sie selbst zu sein. Nur weil sie menschlich konstruiert wurde, muss sie nicht so agieren wie ein Mensch. Diese Problematik hat mich äußerst begeistert, als ich den Comic gelesen habe, da man sich eigentlich nie darüber Gedanken macht, dass ein Roboter Individualisierungen vornehmen möchte – über sich selbst bestimmen. Im Prinzip eine ganz menschliche Eigenschaft. Manche der Androiden ändern ihr Geschlecht, ihre äußere Erscheinung und wollen oft gar nicht so aussehen wie ein Mensch. Ebenso spielt eine zentrale Rolle, mit wem ein Android eine Beziehung eingehen möchte. Auch das spiegelt sich in dem Verhältnis zwischen Alex und Ada wider. Wir Menschen spielen uns als Götter auf und diktieren diesen Wesen, ob sie männlich, weiblich oder überhaupt wie Menschen aussehen sollen. Immerhin sind es unsere Kreationen und sollen so handeln und auftreten, wie wir das wollen, oder nicht?
Sarah Vaughn geht aber noch einen Schritt weiter und schafft eine Welt, in der fühlende, freie Androiden verboten sind. Grund ist ein Vorfall, bei dem ein Amoklauf eines eben solchen Androiden dazu geführt hat, dass Menschen ihr Leben verloren haben. Als Folge wurde diese Funktion standardmäßig deaktiviert, obwohl sie stets im Programm vorhanden ist. Dies bedeutet, dass Alex und Ada vom ersten Schritt, den sie in diese Richtung machen, Verbrecher sind. Verfolgt von der Regierung, von vielen Menschen verachtet, darunter auch von Freunden. Sie müssen sich verstecken und Ada so tun, als wäre sie ein »normaler« Roboter vom Band, der tut, was man ihr sagt.
Kommen wir aber noch einmal zurück zur Programmierung. Der Teil des Codes, der Androiden empfindungsfähig macht, ist in allen vorhanden. Und es gibt viele tausend, wenn nicht Millionen dieser Kreationen. Hat man dann nicht die moralische Pflicht, diesen Schalter umzulegen und so diesen fantastischen Wesen eine Chance zu bieten, ihr eigenes Leben zu entdecken? Oder stellen wir uns diese Frage nur, weil Ada und viele andere (nicht alle!) genauso aussehen wie Menschen? Würde das gleiche Bedürfnis in uns wach werden, wenn sie nicht menschenähnlich wären?
Da fällt mir eine der wohl besten Episoden aus »Star Trek: The Next Generation« ein, die sich genau mit dieser Thematik auseinandersetzt: Measure of a man. Darin steht ein Wissenschaftler kurz davor, das Geheimnis hinter Datas Gedächtnis zu entdecken, doch für den letzten Schritt muss er diesen in seine Bestandteile zerlegen, ohne Garantie, dass Data danach noch funktioniert. Daraufhin wünscht Data aus der Föderation auszutreten, da dies die einzige Möglichkeit ist, der Prozedur zu entgehen. Doch dieser Schritt wird ihm verwehrt. Im Folgenden wird verhandelt, ob Data eigenständig entscheiden darf oder ob er nicht Besitz der Föderation ist. Guinan, dargestellt von der wunderbaren Whoopi Goldberg, berät Captain Picard, der Data in der Verhandlung vertritt. Sie eröffnet dabei den entscheidenden Punkt, indem sie eine Frage stellt: Wenn man vorhat, viele weitere Androiden nach dem Vorbild von Data zu erschaffen, sodass jedes Föderationsschiff und viele Stationen einen bekommt, was erhält man dann? Genau, eine neue Rasse. Eine Rasse, die dazu geschaffen wurde, als Sklaven zu arbeiten.
»Alex + Ada« schafft es gekonnt, diese Fragen aufzuwerfen, ohne konkrete Handlungsvorschläge zu liefern. Es ist lediglich ein Anreiz, sich damit auseinanderzusetzen. Denn schließlich müssen wir uns als Gesellschaft früher oder später mit solchen und ähnlichen Fragen auseinandersetzen. Ansätze kann man schon in diversen Science-Fiction-Werken finden. Am bekanntesten sind wohl die drei Robotergesetze von Isaac Asimov. Doch diese sind auch wieder sehr auf den Menschen zentriert und nicht unbedingt auf die Freiheit unserer Kreationen.
Als Abschluss will ich aber nochmal auf den konkreten Inhalt zu sprechen kommen und nicht nur auf die philosophischen Fragen eingehen, die aufgegriffen werden. Die Welt, die Sarah Vaughn und Jonathan Luna schaffen, ist äußerst glaubwürdig. Kleine Erfindungen, die das Leben einfacher machen und zum Beispiel die Kommunikation erleichtern, könnten in greifbarer Nähe sein. Am meisten begeistern allerdings die Dialoge zwischen den einzelnen Charakteren. Sie wirken echt und glaubwürdig, konzentrieren sich auf das wesentliche und werden durch Handlungen unterstrichen. Besonders gut funktionieren die Storyelemente, die die Loyalität von so manchen Freunden und Familienmitgliedern infrage stellen. Doch trotz der spannend erzählten Geschichte wirkt das Ende etwas zu gehetzt. Ein großer Zeitsprung spielt dabei eine zentrale Rolle und wie in der Situation der Charakter Alex behandelt wird, finde ich nicht nachvollziehbar.
Die Zeichnungen sind, im Gegensatz zur mitreißenden Geschichte, eher zurückhaltend gestaltet. Sie versprühen ein bisschen den Eindruck eines Unterstatements. Einzelne kleine Bewegungen oder Augenblicke laufen über mehrere Panels und bringen eine Ruhe in die Handlung. Auch die Hintergründe, die unaufgeregt, fast schon steril aussehen, führen dazu, dass man sich mehr auf die Mimik und Gestik der Charaktere konzentriert. »Alex + Ada« ist ein herausragender Comic, der auf allen Ebenen überzeugt. Ein bisschen enttäuschend ist zwar das Ende, aber ist nicht bekanntlich die Reise das Ziel?